Vom Papyrus zum wertvollen Handeinband
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Mit der Erfindung der Schrift ist es möglich geworden, die Ergebnisse menschlichen Geistes zu fixieren und der Nachwelt zu überliefern. Ursprünglich wurden zwar noch die Schriftzeichen in Stein, Holz, Wachs oder Elfenbein eingemeißelt oder eingeritzt, doch bald wurden diese Beschreibstoffe vom Papyrus verdrängt. Griechen und Römer benutzten für ihre Aufzeichnungen wachsüberzogene Tafeln, die durch Ringe oder Scharniere zusammengehalten wurden. In den ersten nachchristlichen Jahrhunderten begann sich das Pergament durchzusetzen, das sich aber zum Zusammenkleben zu langen Rollen, ähnlich den Papyrusrollen, nicht eignete. So entstand durch Auffalten und beiderseitiges Beschreiben der Blätter die heutige Buchform, der Codex.
Im Mittelalter war das Buch noch eine Einzelerscheinung. Fleißige Mönche vervielfältigten die Texte durch Abschreiben. Es ist klar, daß in dieser Zeit, die noch ausschließlich unter dem Einfluß und der Macht des Christentums und der Kirche stand, das Buch kirchlichen oder religiösen Inhalts dominiert. Es entstanden in dieser Zeit prachtvolle Evangeliare, deren Einbände reich verziert waren durch Gold- und Silberarbeiten, kostbare Edelsteine und Perlen oder durch kunstvolle Emailarbeiten.
Mit dem Steigen der Buchproduktion durch die Erfindung Johannes Gutenbergs sinkt die Bedeutung: des Einzelbandes. Die Einbände sind nicht mehr so kostbar. Sie bestanden meistens aus Leder, das durch Ornamente oder figürliche Darstellungen verziert war.
Die heutige nüchterne Zeit der Massenproduktion, und Konfektionsindustrie hat auch das Buch in ihren Sog gezogen. Millionen von Taschenbüchern werden produziert, um gelesen und dann weggeworfen zu werden. Wenn auch verschiedene Verlage und Buchgemeinschaften bemüht sind, sorgfältig ausgestattete Bücher zu verlegen, so bleiben die meisten Bücher doch einfachhin Gebrauchsgüter. Diese Entwicklung war zwangsläufig dadurch bedingt, das Buch allen Kreisen und Schichten zugänglich zu machen.
Das Buch hat also, was seine äußere Gestalt angeht, weithin seinen individuellen Charakter durch den Industrieeinband verloren. Doch finden wir auch heute noch auf verschiedenen Gebieten hervorragende Handeinbände, wie Gästebücher, Urkundentexte und Meßbücher. Einige Buchbindereien in der Bundesrepublik pflegen diese Kunst des wertvollen Handeinbandes ganz besonders. Zu diesen gehört auch der Verlag Butzon & Bercker in Kevelaer, in dessen Buchbinderwerkstätten mancher gediegene Einband gefertigt wird.
So beispielsweise ein Evangeliar, das dem Bischof von Hildesheim zum 25jährigen Priesterjubiläum überreicht wurde. An diesem Buch zeigt sich ganz deutlich, wie fruchtbar und nützlich sich eine gute Zusammenarbeit von Buchbinder und Goldschmied auswirken kann.
„Zu einem edlen Einband“ — wir haben hier einen Kalbspergamentband, geheftet auf Pergamentriemchen — „gehört ein edler Beschlag“, sagte mir der Goldschmied Paul van Ooyen (Kevelaer), in dessen Werkstätte dieser Einband vollendet worden ist.
Ein Kreuz in der Art mittelalterlicher Filigranarbeit läuft bis an die Kanten der Buchdecke und teilt sie in vier Felder, in denen die vier Evangelisten dargestellt sind. Dieses goldene Kreuz ist mit vielen kostbaren Edelsteinen besät: mit verschiedenfarbigen Turmalinen, Amethysten, Mondsteinen, Topasen, Amazoniten, indischen Karneolen und russischen Smaragden. Vier Bergkristalle stehen in den vier Feldern, auf denen die Evangelisten durch ihre Symbole dargestellt sind. Im linken Feld oben der Engel für Matthäus, darunter der Löwe für Markus, daneben der Stier für Lukas und rechts oben der Adler für Johannes. Diese teilweise mit rotem Saffranleder unterlegten Silberarbeiten erreichen durch Belötungen und durch Anwendung unterschiedlicher Techniken sowie die Zusammenstellung verschiedener Farben (bedingt durch das verwendete Material: Silber, Leder und Pergament) eine besonders plastische Wirkung Es würde zuweit führen, wollte man alle Feinheiten beschreiben. Deshalb sei noch eine kleine Passage aus einem Brief an den Goldschmied angeführt: „… Ein sehr kunstverständiger Professor und Domkapitular meinte beim Anschauen dieses Evangeliars, es sei tröstlich, daß man heute wieder Kunstwerke schaffe, die man mit vollem Recht auf Jahrhunderte dem Hildesheimer Domschatz anvertrauen könne …“
Nicht ganz so kostbar, aber dennoch auch recht eindrucksvoll in seiner schlichten Gestalt ist ein Missale Romanum in graphitgrauem Maroquinleder mit herausgearbeiteten Bünden. In Goldprägung zeigen Vorder- und Rückseite ein Kreuz, dessen Querbalken über den Rücken weiterläuft. Die vier durch das Kreuz bedingten Felder sind durch vier herrliche Rosenquarze geziert. Den Mittelpunkt des Kreuzes bildet eine mit Edelsteinen (Beryllen und Quarzen) besetzte Goldschmiedearbeit, die das Symbol des Heiligen Antonius trägt.
Beide Einbände, geschaffen von Buchbindermeister J. Schmitz in Kevelaer, der übrigens auch bei Zieher gearbeitet hat, sollen beweisen, daß auch heute noch, in der Zeit der Fließbandarbeit, wertvolle Handeinbände angefertigt werden. Wir können nur hoffen, daß die gute alte Handwerkskunst auch im Zeitalter der Technik nie aussterben möge.
Christoph Brandt, Kevelaer