Kevelaerer Blatt, Nr. 32, 09.08.1996
„Es war alles Gnade, alles Geschenk“
Der Kevelaerer Maler Heribert Reul wird 85 Jahre
von Delia Evers
Um eines gleich vorweg zu sagen: Am Mittwoch, 14. August, ist Heribert Reul nicht zu Hause. An diesem Tag wird er „85″, und das rechnet er sich keinesfalls zur Ehre an: „Ich hab‘ damals nichts dazu beigetragen, daß ich geboren wurde“. Wohl hat Heribert Reul in den 85 Jahren danach vieles „beigetragen“, wofür ihm heute mancher danken wollte.
Allein in Kevelaer sind ein paar Dutzend seiner Werke, Sgraffitis vor allem, zu sehen; Hunderte von Wandbildern, Graphik, Illustrationen, Bleiglasfenstern, Bronzefiguren, Mosaiken, Altären, Taufbrunnen, Kelchen und Paramente in vielen Ländern der Welt sind seiner Kunst und seinem Können entsprungen, wunderschöne Werke, die meisten mit religiösen Aussagen. Es gibt kaum eine Figur, kaum eine biblische Szene, die er nicht mit den entsprechenden Attributen in eine irdische Kostbarkeit umzusetzen weiß.
Er kennt den Symbolgehalt jedes Tieres, jeder Farbe, jeder Szene aus dem Buch der Bücher. Man könnte fast sagen: Er übersetzt die Bilder der Bibel in Gleichnisse für die Sinne.
Reuls Berufsbezeichnung ist Kirchenmaler. Diese Profession ist gewissermaßen von Vater Wilhelm auf ihn übergegangen. Doch schon lange vorher hatte der kleine Heribert erste Hürden zu bestehen: Er kam in jenem tödlich heißen Sommer 1911 in HerbesthaI bei Eupen zur Welt, in dem Tausende Kleinkinder starben.
Das hindert den „werdenden“ Heribert nicht daran, zwei Monate früher als geplant auf der Erde „nach dem Rechten zu sehen“, wie er Jahrzehnte später formulierte, „Da man damals sicher war, daß ich nicht durchkommen würde, war eine Nottaufe fällig und der Name spielte unter diesen Umstände keine Rolle“. Seine Mutter Helene verhinderte immerhin Jodokus und Maurus (bekannt als Patron gegen den Schnupfen). Er war gerade elf oder zwölf, als er in der Schule etliche Ehrungen erfuhr: So begeistert waren Lehrer und Kameraden, von den „Monumentalgemälden“, üppigen Schlachtszenen vor allem, die der Junge mit Bleistift auf Papier übertrug. Außer Lorbeer brachte ihm seine Kunst vorläufig wenig, kostete dafür schon einen guten Batzen Taschengeld. Einmal „riß ich mir 5000 Mark für einen billigen Farbkasten vom Herzen“, erinnert er sich. Es herrschte Inflation. Mit 14 Jahren ging er zu seinem Vater in die Lehre, schuf mit 19 die ersten Werke, vor allem für Kirchen des Münsterlandes, hatte mit 25 Jahren seine ersten Ausstellungen. Seine tägliche Arbeit und ein Semester Folkwangschule waren die Grundlagen.
Inzwischen war die braune Zeit angebrochen, da engagierte sich der Künstler so intensiv für die Katholische Jugend, daß der Name Heribert Reul in der großen Organisation ein Synonym für Jugendarbeit wurde – die finanzierte er mit dem Verkauf eigener Linolschnitte.
Er erhielt eine Einladung nach Berlin. Prof. Plontke hatte dafür gesorgt, daß Reul an der Akademie der Künste einen Studienplatz zugesprochen bekam. Doch den trat er nicht mehr an: 1940 wurde er eingezogen, später viermal schwer verletzt, geriet 1945 in russische Kriegsgefangenschaft, blieb es bis 1949 in einem Lager bei Kiew. Hier schrieb, dichtete und malte er, auf winzige Fetzen Papier, mit einfachsten Stiften: Menschen, Städteansichten, Landschaften. Viele der Zeichnungen besitzt Reul noch heute. Es ist kaum zu begreifen, daß die kostbaren Blättchen im Briefmarkenformat in den Schrecken der russischen Gefangenschaft entstehen konnten.
Bereits 1950 arbeitete er wieder als Maler und Graphiker. Und 1952 löste er eine Verabredung ein. Während des Krieges hatte er den aus Kevelaer stammenden Kaplan Schröer kennengelernt. Der hatte ihm seine Adresse gegeben für den Fall, „daß wir der Krieg überleben“. So fuhr Reul in die Marienstadt, fand die beschriebene Buchhandlung, stieß auf die junge Schwester von Kaplan Schröer. Zu seiner Überraschung entdeckt Reul, daß in dem Geschäft Werke von ihm auslagen, zudem Blätter mit Liedern, die offensichtlich einem Buch entnommen waren, das er während des Krieges verbotenerweise herausgegeben hatte. Und Reul sagte: „Das sind ja Arbeiten von mir“. Die junge Frau entgegnete: „Dann sind Sie Heribert Reul!“
Ein Jahr später hieß Rosemarie Schröer ebenfalls Reul. In den folgenden 15 Jahren brachte sie zwölf Kinder zur Welt, elf Jungen und ein Mädchen (gerade wurde das 21. Enkelkind angekündigt). Ohne jede Koketterie erzählt Reul, daß sie beide immer Freude an Kindern gehabt hätten, es damals für Christenmenschen nur die Möglichkeit gegeben habe, Kinder zu zeugen oder eheliche Enthaltsamkeit zu üben: „Das war nichts für uns!“
Bis heute schuf Heribert Reul auch Hunderte von Landschaftsbildern, viele vom Niederrhein. Gern erzählt er lächelnd von Menschen, die ihm beim Zeichnen über die Schulter schauten. Einmal malte er in freier Landschaft – ein Baumstumpf „saß Modell“. Da meinte der Zuschauer verblüfft: „Warum malen Sie denn den kaputten Baum, wo doch so viele ,ganze‘ zu sehen sind“. Ein anderer fragte ihn: „Kann man die Zeichnungen irgendwo kaufen?“ Reul schockierte ihn mit der Antwort: „Nein!“ – er verkaufe nicht, aber er habe zwölf Kinder. Die würden schon was mit den Bildern anzufangen wissen.
Heribert Reul ist ein Mann, der nicht um einen Ruf als Künstler gebuhlt hat; dafür war er nicht verbissen genug, und viel zu humorvoll; vielleicht war er auch als Vater einer Großfamilie zu sehr darauf angewiesen, sein Schaffen als Broterwerb zu sehen. So gibt es vermutlich wenige Künstler in Kevelaer, die im Stadtbild an so vielen Orten mit ihren Werken vertreten sind und dennoch der breiten Öffentlichkeit kaum bekannt sind. Wie schön, wenn sich Menschen eine solche Bescheidenheit leisten, weil sie für ihre Erfüllung andere Grundlagen kennen. Reul hat für seine Kinder Lebenserinnerungen geschrieben. Darin heißt es an einer Stelle: „So ich mein Leben recht bedenk: Es war alles Gnade, alles Geschenk“.
Mit freundlicher Genehmigung von © Delia Evers / www.blattus.de